Shinichi Sawada

Hrsg.: Pia Dornacher, Julia Wallner; Autor*innen: Carla Schulz-Hoffmann, Mizue Kobayashi
2020 | 64 S. | 9 €

Shinichi Sawadas filigrane Objekte aus Keramik erinnern an fantastische Chimären, dämonische Masken, reich dekorierte Totems, mittelalterliche Ungeheuer oder kunstvolle präkolumbische Artefakte – und entstammen dabei doch sichtbar ihrer ganz eigenen Welt. Kunsthistorischen Konventionen ebenso trotzend wie Kriterien des zeitgenössischen Marktes, zeugen die von spitzen Dornen übersäten Kreaturen des 1982 in Japan geborenen Künstlers von schöpferischer Freiheit und immenser Vorstellungskraft. In ihrer existenziellen Ursprünglichkeit scheinen sich die Untiefen des menschlichen Daseins zu spiegeln. Mit weit aufgerissenen Augen, gefletschten Zähnen, antennenartig aufgestellten Hörnern und hervortretenden Krallen begegnen Sawadas eindrucksvolle Wesen mal scheu, mal wehrhaft ihrem Gegenüber. Als Gruppe bilden sie zugleich eine sinnfällige Einheit – formal aufs Engste miteinander verwachsen und doch aus einem überbordenden Repertoire der Möglichkeiten schöpfend.

Während Sawadas Werk wie ein Ausdruck einer inneren Zwiesprache erscheint, die äußerst eigentümlich und in ihrer emotionalen Präsenz zugleich universell ist, spricht der Künstler selbst nur sehr selten. Als Autist und Autodidakt arbeitet er seit seinem 18. Lebensjahr in einer betreuten Einrichtung der Sozialfürsorge in der Präfektur Shiga, westlich von Kyoto. Sein Talent anerkennend, hat man ihm in der nahen, naturbelassenen Waldlandschaft eine einfache Wellblechhütte mit zwei großen Brennöfen errichtet, die ihm seit bald 20 Jahren als Atelier dient. In diesem geschützten Rückzugsraum konnte der Künstler eine einzigartige Formensprache entwickeln, die dazu einlädt, tradierte Denkweisen und Kategorien zu hinterfragen.

Technisch auf jahrtausendealte Traditionen der japanischen Keramikkunst zurückgehend, finden Sawadas mystische Wesen scheinbar völlig intuitiv und ohne jegliches Zögern oder kunsthistorische Bezüge zu ihrer markanten Form. So rufen sie uns ins Gedächtnis, dass wahre Kunst immer aus dem Innersten schöpft. Unmittelbar in der Wirkung und zugleich komplex in ihrer Vielschichtigkeit weiten sie unseren Blick, ohne sich vom Kern ihrer eignen Daseinskraft zu entfernen.

Sawadas Werk wurde 2013 auf der 55. Biennale von Venedig erstmals außerhalb des Kontextes der sogenannten „Outsider Art“ vorgestellt. Als erste museale Präsentation seiner Arbeiten in Europa zeigt die in Kooperation mit dem Museum Lothar Fischer entstandene Ausstellung im Georg Kolbe Museum 20 keramische Skulpturen des japanischen Künstlers. Der inklusive Ansatz der Ausstellung möchte dazu animieren, bewusste oder unbewusste Grenzziehungen aufzuheben.

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