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Lin May Saeed. Im Paradies fällt der Schnee langsam

Ein Dialog mit Renée Sintenis

14. September 2023 – 25. Februar 2024

1/4 Ausstellungsansicht, Georg Kolbe Museum, Foto: Enrich Duch
1/4 Renée Sintenis, Kniendes Reh, 1915, Plastik, Georg Kolbe Museum, Inv.Nr.: P187 VG Bild-Kunst, Bonn 2022
1/4 Ausstellungsansicht, Georg Kolbe Museum, Foto: Enrich Duch

Die Annahme, dass Tiere in der menschlichen Vorstellung zuallererst als Fleisch oder Leder oder Horn auftraten, heißt, eine Haltung des 19. Jahrhunderts Jahrtausende zurück zu projizieren. Tiere fungierten in der Vorstellung zuerst als Botschafter und Verheißung.
John Berger, Warum sehen wir Tiere an?, 1980

In den Werken von Lin May Saeed (1973, Würzburg-2023, Berlin) ist das Leben von Tieren und die Beziehung zwischen Tier und Mensch zentrales Thema. Mit einer konsequenten formalen Sprache, viel Einfühlungsvermögen, einem breiten kulturhistorischen Wissen zu Märchen und Fabeln, aber auch mit Humor erzählt die Künstlerin alte und neue Geschichten von der Unterwerfung und Befreiung der Tiere und ihrem Zusammenleben mit den Menschen. Die Skulpturen, Reliefs, Metallarbeiten, raumgreifenden Scherenschnitte und Zeichnungen der deutsch-irakischen Bildhauerin sind eine neue Bildsprache der Solidarität und Koexistenz zwischen den Arten.

In ihrer ersten musealen Einzelausstellung in Deutschland treffen Lin May Saeeds künstlerische Arbeiten auf Leihgaben und Sammlungswerke des Georg Kolbe Museum von Renée Sintenis (1888, Glatz-1965, West-Berlin). Diese zentrale Bildhauerin der Moderne, die ihrerzeit ebenfalls nach einer Sprache und Abbildbarkeit der Beziehungen zwischen Tier und Mensch suchte, feierte ihren Durchbruch in den 1920er Jahren mit kleinformatigen Tierskulpturen. Die bekannteste – der Berliner Bär – wird immer noch alljährlich im Rahmen der Berlinale Filmfestspiele verliehen. Der im Georg Kolbe Museum entstehende Dialog zwischen den Künstlerinnen über verschiedene Generationen hinweg spürt nicht nur formalen Entwicklungen der Tierbildhauerei nach. Die Ausstellung untersucht auch den Wandel des gesellschaftlichen Bildes des Tieres in den letzten 100 Jahren und verweist auf eine neue Aktualität in unserer Wahrnehmung und in unserem Umgang mit anderen Lebewesen, wie beispielsweise auf die Rolle industrieller Tierhaltung im Fortschreiten der Klimakatastrophe. Auch werden in ferner Zukunft nicht Bronze oder Marmor als bildhauerisches Material Zeugnis menschlichen Schaffens ablegen, da sie verfallen sein werden. Styropor hingegen bleibt intakt. Deshalb ist dieser auf Erdöl basierende, biologisch nicht abbaubare Kunststoff der von Lin May Saeed bevorzugte Werkstoff für ihre Arbeiten. Er steht für sie als Mahnung der Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt. Und so eröffnet die Kunst von Lin May Saeed immer auch eine politische Dimension im menschengemachten Zeitalter des Anthropozän.

Die Ausstellung zeigt Skulpturen aus Styropor, Stahl und Bronze sowie Scherenschnitte und Zeichnungen beider Künstlerinnen und wird begleitet von einem umfassenden Vermittlungs- und Rahmenprogramm zu Animalität, Tierethik und Tierrechten. Mehr Informationen.

Die Ausstellung ist in enger Zusammenarbeit mit Lin May Saeed entstanden.

Für das Format Artists on Artists hat das Künstler*innenkollektiv Slavs and Tatars (gegründet 2006, Berlin) einen Audioguide mit ihren Lieblingswerken von Lin May Saeed für die Ausstellung erstellt auf Bloomberg Connects.