Georg Kolbe
Georg Kolbe (1877-1947) zählt zu den bedeutendsten Bildhauern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine idealisierten Aktplastiken sind Ausdruck intensiver Beschäftigung mit der Darstellung des modernen Menschen. Der künstlerische Durchbruch gelang ihm 1911 mit seiner „Tänzerin“. Ihr folgten zahlreiche Skulpturen, die von der Bewegtheit des Ausdruckstanzes inspiriert sind. Kolbes expressive Frauenfigur „Morgen“ kam in Ludwig Mies van der Rohes Barcelona Pavillon von 1929 zur Aufstellung, einem heute ikonischen Gebäude der Moderne. Auch Walter Gropius, Hans Poelzig oder Henry van de Velde schätzten seine Skulpturen und brachten sie in Beziehung zu ihren Architekturen. Kolbe engagierte sich in den sezessionistischen Vereinigungen seiner Zeit und stand in engem Austausch mit Künstler*innen wie Max Beckmann, Renée Sintenis, Ernst Barlach und Karl Schmidt-Rottluff.
Zunächst als Maler und Zeichner ausgebildet, wandte sich Georg Kolbe um 1900 im Rahmen eines längeren Aufenthalts in Rom der Bildhauerei zu, um in der Plastik seine Lebensaufgabe als Künstler zu erkennen. Was ihn dabei immer wieder antrieb, war der Versuch, eine Form zu finden im Gleichklang von Körper und Geist, einen gültigen Ausdruck für die innere Bewegtheit des Menschen. Entsprechend nutzte für seine Kunst den Begriff „Ausdrucksplastik“. Nach einem Umzug im Jahr 1904 nach Berlin fand der Bildhauer Ende des Jahrzehnts zu seiner eigenen Formensprache. 1911/12 wurde seine knapp lebensgroße Skulptur „Tänzerin“ durch den damaligen Direktor Ludwig Justi als erste moderne Plastik für die Sammlung der Berliner Nationalgalerie angekauft. Die Darstellung des jungen, ganz in die tänzerische Bewegung versunkenen zierlichen Mädchens galt offenbar als Sinnbild eines neuen Verständnisses moderner Plastik. Alles Manierierte, Süßliche und Starre der Kunst der Kaiserzeit ließ sie zugunsten eines körperbetonten Schönheits- und Kunstbegriffs eines jungen, doch selbstbewussten Bürgertums hinter sich. Es zeigte sich ein neuer, freier Mensch, der sich regelrecht aus den Fesseln der alten Zeit herauszutanzen vermochte.
Die 1910er-Jahre in Kolbes Werk sind beseelt von zarten, empfindsamen und geschmeidigen Körpern, die der Vielgestaltigkeit ihrer Welt und deren Herausforderungen gewissermaßen auf Zehenspitzen begegnen. Eindrucksvolles Beispiel für diese wichtige Phase in Kolbes Frühwerk ist die kleine Skulptur des russischen Star-Tänzers Vaslav Nijinsky, dem Kolbe ein ganzfiguriges Porträt von äußerster Anmut und Grazie widmete. Der Tanz und insbesondere seine neuen Ausdrucksformen, die von Künstlerinnen wie Gret Palucca, Vera Skoronel, Charlotte Bara oder Ted Shawn entwickelt wurden, blieb bis in die späten Jahre eine wichtige Inspirationsquelle für den Bildhauer.
Begleitet ist Kolbes Werk stets von feinen und gleichsam kraftvollen Zeichnungen, in denen der Künstler konsequent daran arbeitete, den menschlichen Körper in all seiner Bewegtheit zu fassen. Das ursprünglich erlernte, gekonnt beherrschte Medium gab ihm eine Leichtigkeit, auf Basis derer er der bildhauerischen Bearbeitung eines Themas großzügigen bildnerischen und ideellen Raum geben konnte. Die Zeichnung sowie die aus ihr resultierende Druckgrafik machten überdies ein wichtiges Standbein Kolbes künstlerischer Karriere aus. In der Galerie Paul Cassirer waren sie beliebte Verkaufsobjekte, an ihrem merkantilen Erfolg hatte Kolbes früher Förderer und einflussreicher Berliner Galerist deutlichen Anteil. Aus heutiger Sicht gehören die Zeichnungen Kolbes zum Modernsten und wohl auch zum Schönsten, was der Künstler im Laufe seiner Karriere geschaffen hat.
In den 1920er-Jahren fand Georg Kolbe zu einem reifen Werk, das bis heute hohe Popularität genießt. Insbesondere die wiederholte Zusammenarbeit mit international herausragenden Architekten der Moderne macht deutlich, wie stark der Bildhauer neue Ideen von Raum und Proportion, Volumen und Leichtigkeit, Umriss und Perspektive in seinem Werk durchdachte und auch auf diesem Feld nach neuen Lösungen suchte. Bekanntestes Beispiel ist die Aufstellung seiner Skulptur „Morgen“ von 1925 in dem vom einflussreichen Architekten Ludwig Mies van der Rohe entworfenen Barcelona-Pavillon für die Weltausstellung von 1929.
Aus heutiger Sicht erscheinen die späten Skulpturen aus den letzten 15 Jahren seines Schaffens weniger vom Wunsch nach neuen bildnerischen Lösungen durchdrungen als von einer zunehmend starren Redundanz. Der raumgreifenden Bewegtheit der früheren Figuren weichen statische, fast immer stehende Körperhaltungen ohne erkennbare kompositorische Neugier oder die Raffinesse der früheren Konzeptionen. Das durch eine Krankheit schwindende Augenlicht und eine wiederkehrende Krebserkrankung, die 1947 zum Tod des Künstlers führen sollte, mögen zu dieser Veränderung beigetragen haben. Insbesondere jedoch aufgrund einer immer größeren, häufig auch überlebensgroßen Ausführung, einer immer undifferenzierter werdenden Physiognomie, sowie eines körperlich ausstrahlenden Pathos der Überwindung sind sie von heute aus gesehen allzu leicht als Vorboten und später als affirmierende Zeugen eines kraftstrotzenden germanischen Körperideals der Nationalsozialisten zu deuten. Kolbe selbst war nie Mitglied der NSDAP. Dennoch kann aus heutiger Perspektive Kritik geübt werden, da er sich öffentlich nicht deutlich genug distanziert hat und Ausstellungseinladungen, Ehrungen oder Auszeichnungen der damaligen Machthaber durchaus annahm, um seinen Status als erfolgreicher Bildhauer zu erhalten. Kolbes Spätwerk, vor allem seine durch einen heroischen Nietzschekult inspirierten Figuren der 1930er und 1940er Jahre, ließ sich leicht von der Propaganda des Nationalsozialismus vereinnahmen. Die Forschung und Ausstellungspraxis des Georg Kolbe Museums steht deshalb für eine nuancierte Wissensbildung, die versucht, das Werk und dessen Kontext aus ihrer Zeit heraus zu verstehen und zu vermitteln. Aus heutiger Sicht zeigt sich eine Künstlerbiografie voller Brüche und Widersprüche, welche wir als Nachgeborene aushalten, benennen und einordnen müssen. Jenseits des kunsthistorischen Urteils besteht die Notwendigkeit einer zeithistorischen Analyse der künstlerischen Produktion. Das Georg Kolbe Museum stellt sich diesen Komplexitäten aktiv durch seine intensive Forschung und Vermittlungsarbeit.