Forschung
Seit seiner Gründung arbeitet das Museum aktiv an der Pflege und Aufarbeitung des künstlerischen und schriftlichen Nachlasses Georg Kolbes, der zu den umfangreichsten Künstlernachlässen der Bildhauereigeschichte zählt. Das Museum versteht sich darüber hinaus als Forschungszentrum zur Geschichte der Skulptur der Moderne. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Einbindung weiblicher Stimmen der frühen bildhauerischen Moderne in Deutschland, die im Museum unter anderem mit Werken von Renée Sintenis, Emy Roeder, Milly Steger, Genni Wiegmann-Mucchi und Marg Moll vertreten sind. Dank zahlreicher bedeutender Teilnachlässe in der Museumssammlung ist ein umfassender Rückblick auf die Skulpturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts möglich.










Verzeichnis der Skulpturen
Aktuell wird im Museum ein umfassendes Verzeichnis von Georg Kolbes Skulpturen erarbeitet, das die in den letzten Jahrzehnten im Georg Kolbe Museum gewonnenen Forschungsergebnisse wissenschaftlich und systematisch zusammenfasst. Es wird ca. 800 gesicherte Werke vorstellen und zu Beginn des Jahres 2023 digital zugänglich machen. Mit den Inhalten aus dem bereits online recherchierbaren Sammlungsbestand des Museums vernetzt, wird das Verzeichnis einen umfassenden Einblick in das Schaffen eines der prägendsten deutschen Bildhauer des vorigen Jahrhunderts erlauben. Als fortlaufendes Forschungsprojekt angelegt wird es kontinuierlich aktualisiert und ergänzt.
Bearbeitung: Thomas Pavel
Das Verzeichnis der Skulpturen wird mit freundlicher Unterstützung der Hermann Reemtsma Stiftung und der Ernst von Siemens Kunststiftung realisiert.
Wissenschaftliche Expertisen zu einzelnen Werken Kolbes erstellt Frau Dr. Ursel Berger. Anfragen können an Thomas Pavel gerichtet werden.
Erschließung der Museumssammlung
Seit 2013 wird der künstlerische Nachlass von Georg Kolbe mit der finanziellen Unterstützung des Landes Berlin wissenschaftlich erschlossen, digitalisiert und in der museumseigenen Datenbank Kolbe Online sowie in der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) sukzessive veröffentlicht. Neben Skulpturen, Zeichnungen, Gipsmodellen und Druckgrafiken Kolbes wird hier auch die umfangreiche Sammlung historischer Werkfotografien zugänglich gemacht, die den Entstehungsprozess seiner Kunst eindrucksvoll dokumentiert.
Eine Fülle von Hinweisen auf einzelne Kunstwerke und ihre historischen Entstehungsbedingungen finden sich auch in den schriftlichen Künstlernachlässen des Museums. Von 2008 bis 2010 wurden diese Korrespondenzen im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes wissenschaftlich erschlossen und in der Autografendatenbank Kalliope erfasst. Die 2500 Briefe aus dem Nachlass Kolbes – darunter Schreiben von bekannten Persönlichkeiten wie Ernst Barlach, Theobald von Bethmann-Hollweg, Erich Heckel, Karl von der Heydt, Annette Kolb, Max Liebermann, Ludwig Mies van der Rohe, Hans Prinzhorn oder Karl Schmidt-Rottluff – werden fortlaufend transkribiert und sind seit 2019 ebenfalls digital in Kolbe Online recherchierbar.
Zu den jüngst erschlossenen und digitalisierten Exponaten zählen Arbeiten von Künstler*innen aus Kolbes privater Kunstsammlung, unter anderem von Auguste Rodin und Aristide Maillol, ebenso wie spätere Ankäufe und Schenkungen aus dem persönlichen Umfeld des Bildhauers, wie von Renée Sintenis, Karl Schmidt-Rottluff, Richard Scheibe, Gerhard Marcks und Wilhelm Lehmbruck. Im Rahmen des aktuellen Digitalisierungsprojektes werden Anfang 2022 auch diese Skulpturen und Arbeiten auf Papier in Kolbe Online präsentiert werden.
Projektleitung: Carolin Jahn
Der „zweite“ Nachlass
Ein bedeutender Teil des schriftlichen Nachlasses Georg Kolbes wurde im Lauf der 1970er-Jahre von Kolbes Enkelin, Maria von Tiesenhausen, nach Vancouver verbracht, wo diese lange Zeit lebte. Von 1969 bis 1978 leitete sie das Georg Kolbe Museum und erarbeitete in dieser Funktion eine Edition ausgewählter Briefe Kolbes (erschienen 1987). 2019 verstarb Maria von Tiesenhausen im Alter von 90 Jahren. Bei der Sichtung ihres Nachlasses zeigte sich die große Menge an Dokumenten und Werken des Künstlers, die sich bei ihr in Kanada befunden hatten und rechtmäßig der Georg Kolbe Stiftung gehören. Mit Rückführung nach Deutschland im Frühjahr 2020 ist der Nachlass Georg Kolbes erstmals seit über 50 Jahren wieder vereinigt. Für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts handelt es sich um einen überaus bedeutenden Nachlassfund, der in diesem quantitativen und qualitativen Ausmaß seinesgleichen sucht. Die in Kanada vorgefundenen Objekte (neben Dokumenten auch Skulpturen, Zeichnungen, Grafiken) sind ein wesentlicher Teil von Kolbes Nachlass. Neben den ca. 3.000 Briefen an und von Georg Kolbe sind darin Notizhefte, Taschenkalender, private Fotos und Werkabbildungen sowie offizielle Dokumente enthalten. Diese Objekte werden den Künstler in seinen Arbeitsprozessen und künstlerischen Ambitionen, aber auch als Persönlichkeit neu und präziser verorten lassen. Zeithistorisch umfassen die Dokumente die Jahre von ca. 1900–1947 und damit die für die deutsche und europäische Geschichte entscheidendsten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Sie werden wichtigen Aufschluss über die von Ambivalenzen geprägte Lebensrealität eines Künstlers in diesen Jahren geben.
Dank der großzügigen Förderung der Ernst von Siemens Stiftung sowie der Hermann Reemtsma Stiftung konnte das Museum mit der wissenschaftlichen Erschließung dieses wertvollen Nachlassteils beginnen: Seit April 2020 wird das Material systematisch gesichtet und inventarisiert. Ziel ist die Eingliederung in das bestehende Archiv des Museums sowie die schnelle Nutzbarkeit für die Forschung zu Georg Kolbe und seiner Zeit durch das Museum und andere Wissenschaftler*innen. Da die Digitalisierung des Materials zu den Prioritäten des Georg Kolbe Museums gehört, werden auch diese Dokumente sukzessive über Kolbe Online, Kalliope und die Deutsche Digitale Bibliothek zugänglich gemacht.
Projektleitung: Dr. Elisa Tamaschke
Georg Kolbe im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche im Leben, Werk und Rezeption
Der in seiner Komplexität und im Grad der Überlieferung einzigartige Nachlass Georg Kolbes dokumentiert Kontinuitäten und Brüche eines Künstlerlebens in vier politischen Systemen. Herausragendes Desiderat ist bisher die vertiefte Auseinandersetzung mit Kolbes künstlerischem Schaffen und gesellschaftlichem Handeln im Nationalsozialismus. Um dieser wichtigen Forschungsaufgabe gerecht zu werden, hat das Museum im Herbst 2021 eine Expertenrunde ins Leben gerufen, die anhand uneingeschränkten Zugangs zu dem gesamten dokumentarischen Nachlass die Selbstvermarktungsstrategien, die Kommunikation mit und das Agieren am Kunstmarkt, den Umgang mit öffentlichen und privaten Aufträgen, die Ausstellungsbeteiligungen und vieles mehr untersuchen wird. Da insbesondere der Nachlassteil aus Kanada durch Teilnachlässe von Kolbes Assistentin Margrit Schwartzkopff, seines Schwiegersohns Kurt von Keudell und der Enkelin Maria von Tiesenhausen angereichert ist, wird auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Rezeptionsgeschichte- und auch -erzählung des Künstlers in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts möglich werden.
Neben der Förderung von neuen Erkenntnissen zu Georg Kolbe wird die Skulpturgeschichte der Moderne historisch-kritisch reflektiert. Der Kolbesche Mikrokosmos kann helfen, präzisere Aussagen zu treffen über Arbeitsbedingungen, Kunstmarkt und das Verhältnis von Kunst und Politik im Makrokosmos der modernen Plastik. Zwar wurden zur Skulptur im Nationalsozialismus in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Forschungsleistungen erbracht, heute erscheinen aber Aktualisierungen möglich und notwendig. Vom 1. bis 3. September 2022 werden die Ergebnisse der Forschungen auf einer Tagung mit Titel „Georg Kolbe im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche im Leben, Werk und in der Rezeption“ vorgestellt (Programm). Die Publikation der Tagungsbeiträge wird im November 2023 in deutscher und englischer Sprache im Gebr. Mann Verlag erscheinen. Ein erster Beitrag daraus ist bereits hier downloadbar: Gesa Jeuthe Vietzen „Der verbindliche Verzicht. Georg Kolbe als Gläubiger der Galerie Alfred Flechtheim GmbH“.
Projektleitung: Dr. Julia Wallner und Dr. Elisa Tamaschke
Mitglieder der Forschungsgruppe:
Wolfgang Brauneis M.A., Kurator der Ausstellung „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“, DHM
Prof. Dr. Magdalena Bushart, TU Berlin
Dr. Yvette Deseyve, Alte Nationalgalerie Berlin
Ambra Frank M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ausstellung am DHM, Doktorandin an der LMU München
Prof. Dr. Christian Fuhrmeister, ZI München
Dr. Josephine Gabler, Käthe-Kollwitz-Museum Berlin
Jan Giebel M.A., Gustav Lübcke Museum Hamm
Dr. Arie Hartog, Gerhard-Marcks-Haus Bremen
Dr. Christina Irrgang, freie Kunst- und Medienwissenschaftlerin, Autorin und Musikerin
Prof. Dr. Olaf Peters, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Dr. Wolfgang Schöddert, Berlinische Galerie
Dr. Dorothea Schöne, Kunsthaus Dahlem
Dr. des. Paula Schwerdtfeger, Kunsthistorikerin
Prof. Dr. Aya Soika, Bard College Berlin
Dr. Maike Steinkamp, Neue Nationalgalerie Berlin
Dr. Anja Tiedemann, freie Kunsthistorikerin
Dr. Gesa Vietzen, Geschäftsstelle Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz